Am 10. Mai hat das erstinstanzliche Gericht in Evry bei Paris
das lange erwartete Urteil im Prozess von Tran To Nga gegen
14 Herstellerfirmen von Agent Orange verkündet. Das Gift wurde von den USA im Vietnamkrieg grossflächig als Entlaubungsmittel eingesetzt. Einmal mehr ist das Gericht der Argumentation der Chemiemultis gefolgt.

Anjuska Weil

Die Klage der vietnamesisch- französischen Doppelbürgerin Tran To Nga sei unzulässig, erklärte das Gericht, obschon das französische Gesetz seit 2013 Klagen französischer Staatsbürger*innen gegen ausländische Firmen ausdrücklich erlaubt. Die Chemiefirmen hätten während des Krieges in Vietnam im Auftrag des US-Militärs gehandelt und könnten sich daher auf Immunität berufen. Das erinnert fatal an den Entscheid des Obersten Gerichtshofes der USA im Jahr 2009, der eine Klage der Vereinigung der vietnamesischen Opfer von Agent Orange (VAVA) als unzulässig abwies. Die Gerichte aller Instanzen gingen auf die inhaltlichen Anklagepunkte gegen die Herstellerfirmen des tödlichen Gifts gar nicht erst ein.

Der Urteilsspruch

Das Urteil von Evry lässt verschiedene Tatsachen ausser Acht: Zum Beispiel, dass die angeklagten Chemieunter- nehmen der US-Armee Offerten unterbreiten hatten. Sie wurden also keineswegs zwangsverpflichtet, sondern buhlten vielmehr um das Kriegsgeschäft. Angesichts ihrer Fachkompetenz hätten die Firmen zudem wissen müssen, wie gefährlich die hohen Dioxinwerte in Agent Orange sind. Doch das Gericht überging, dass die Firmen, mangels Auflagen seitens der Auftraggeber, zu hohe Werte des extrem giftigen TCDD1 in Kauf nahmen, um Kosten zu sparen und den Herstellungsprozess zu beschleunigen. Ferner argumentiert das Urteil, Agent Orange – das immer als Herbizid bezeichnet wurde und noch heute so bezeichnet wird – hätte der Selbstverteidigung in einer Kriegssituation gedient. Wie bitte? Hatte Vietnam die USA angegriffen?

Der letzte Kampf

Tran To Nga reagierte im Interview gefasst: «Ich bin niedergeschlagen, aber ich bin nicht traurig. Allein schon bis zu diesem 10. Mai gekommen zu sein, ist ein Sieg. Ich danke all denen, die mich unterstützen.» Zusammen mit ihren drei Anwält*innen erklärte sie umgehend, in Berufung zu gehen. Die schwer kranke 79-Jährige betrachtet den Prozess gegen die Herstellerfirmen der Chemiewaffen, die vier Millionen Menschen und die Natur Vietnams schwerstens und auf unabsehbare Zeit geschädigt haben, als ihren letzten Kampf. Sie will ihn bis zum Schluss ausfechten.

Tran To Nga’s erstes Kind starb mit 17 Monaten an seinem schweren Herzfehler. Die beiden folgenden Töchter leiden ebenfalls an Geburtsschäden. Lange Zeit hatte sich Tran To Nga vorgeworfen, eine schlechte Mutter zu sein und fühlte sich schuldig. Doch inzwischen ist sie sicher, dass Agent Orange, mit dem sie bei ihrer Arbeit als Kriegsberichterstatterin eingenebelt wurde, die Ursache für ihr Leiden ist.

Als Aktivistin führt sie diesen Kampf nicht für sich, sondern für Gerechtigkeit gegenüber allen Opfern. Eine aussergerichtliche, persönliche Abfindung hat sie abgelehnt. Trotz schwerer Krankheit und den riesigen Strapazen nimmt sie diesen letzten Kampf auf sich, weil sie aufgrund ihrer Doppelbürgerschaft und der Gesetze Frankreichs die weltweit einzige verbliebene klageberechtigte Person ist. Aufgeben wird sie nicht. Allerdings wissen die Firmenanwälte nur allzu gut, wie es um ihre Gesundheit steht, und es ist wohl keine verfehlte Annahme, dass bei ihrem Spielen auf Zeit auch der mögliche Tod der Klägerin zum Kalkül gehört.

Pestizide und Konzernverantwortung

Am 15. Mai, anlässlich weltweiter Protestaktionen im Rahmen des jährlichen March Against Monsanto (heute Bayer), gehörte die Strasse von Paris auch Tran To Nga. Die Demonstrierenden verstehen sehr wohl, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Agent Orange und dem in der EU inzwischen verbotenen, aber in Ländern des globalen Südens noch vertriebenen Paraquat. Sie wissen, dass weiterhin Mensch und Natur gefährdende Pestizide wie Glyphosat gehandelt werden und fordern, dass Konzerne verpflichtet werden, ihre Verantwortung gegen- über allen Menschen auf allen Kontinenten einzuhalten. Auch die in der Schweiz am Ständemehr gescheiterte Konzernverantwortungsinitiative hatte dies zum Ziel. Der Kampf gegen die Straflosigkeit der Chemiemultis muss weitergehen, mit lokalem Handeln und globalem Denken!

1 Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) ist der giigste Bestandteil von Agent Orange. Es wirkt unter anderem fetotoxisch (teratogen), schädigt also das ungeborene Kind im Muerleib, und ist sehr persistent, das heisst, es verbleibt lange Zeit in der Umwelt. Das bis heute drassch erhöhte Aureten von schweren Fehlbildungen bei Kin- dern, Krebserkrankungen, Immunschwächen sowie weiteren Erkrankungen wird auf diese Dioxinbelastung zurückgeführt.