Nach acht Jahren auf der medico-Geschäftsstelle wurde Bianca Miglioretto per Ende April pensioniert. Die Stelle «Administration & Spendenkommunikation» übernimmt Siro Torresan. Ein Gespräch.

Alice Froidevaux

Wie bist du damals zu medico gekommen, Bianca?

Bianca: Ich kannte medico, damals CSS, schon seit 1989, als ich noch stärker in der Philippinen-Solidarität aktiv war. Wir planten eine Studienreise und hatten medico angefragt, ob sie Medikamente finanzieren würden, die wir für den philippinischen Widerstand in den Bergen mitnehmen wollten. Das haben sie dann auch getan. Seither hatte ich die Organisation im Auge. Als ich erfuhr, dass mein Vorgänger pensioniert wird, habe ich mich beworben. Ausschlaggebend war für mich das feministische Engagement und die Tatsache, dass medico aus der Unterstützung von Befreiungsbewegungen im Globalen Süden gewachsen ist.

Siro, du warst 25 Jahre in der Jugendarbeit tätig. Was hat dich zu einem beruflichen Neuanfang bei medico bewogen?

Siro: Zuerst muss ich festhalten, dass die Jugendarbeit nur ein Teil meiner Tätigkeit war, der andere war schon immer ein politisches Engagement in der Partei der Arbeit (PdA), bei der Zeitung «vorwärts», in verschiedenen Komitees. Aber sie war mein ‹Brotjob› und nach 25 Jahren an der Front gibt es einfach gewisse Abnutzungserscheinungen. Ich dachte mir immer häufiger: ‹Wenn du eine passende Stelle siehst, dann bewirbst du dich darauf›. Und das war dann die Ausschreibung von medico. Ich kannte die Organisation und konnte alle Punkte auf der Liste der Aufgaben und Anforderungen abhaken ‹das würde mir gefallen… das bringe ich mit›. Wichtig ist für mich vor allem die Geschichte von medico. Was für Bianca das Feministische ist, ist für mich der antifaschistische Ursprung. Dieser ist für mich zentral.

Welche Aspekte machen diese Stelle bei medico besonders spannend?

Bianca: Erstens mag ich Zahlen. Zweitens finde ich, dass Buchhaltung durchaus politisch ist. Die Entscheidungen, wie man mit Gewinnen umgeht oder Reserven anlegt, sind von strategischer und politischer Bedeutung für die Organisation. Ausserdem bietet die Stelle viel Gestaltungsspielraum. Der Arbeitsbereich Layout gibt dem Job eine kreative Seite. Dazu kommt, dass ich immer in tollen Teams arbeiten durfte. Ich sah meine Aufgabe auch darin, die Geschäftsstelle möglichst reibungslos am Laufen zu halten, damit sich das restliche Team besser auf seine Kernaufgaben in der Projektkoordination und in der Kommunikation konzentrieren konnte. Den Job ganzheitlich anzugehen, war eine spannende Herausforderung.
 
Siro: Mir gefällt sehr, dass diese Stelle so viel Raum zum Mitdenken und Mitgestalten bietet. Das liegt sicherlich auch an meiner mittlerweile 30-jährigen politischen Aktivität. Ich möchte Biancas Aussage unterstreichen: Buchhaltung ist politisch. Man kann sie nur als Zahlen betrachten oder politische Botschaften daraus ziehen. Natürlich geht es um die aktuellen politischen Kämpfe hier und in den Projektländern, aber letztlich ist es auch unsere Aufgabe, Gelder zu verteilen…
 
Bianca: …und wie wir sie verteilen, ist hochpolitisch!
 
Siro: Genau. Die Buchhaltung ist nicht die einzige Grundlage für Entscheidungen, aber sie ist unverzichtbar. Ich freue mich auf die kommenden Herausforderungen. Ich habe das Gefühl, ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Deine Pensionierung ist die dritte in drei Jahren bei medico. Wie hast du den Generationenwechsel im Team erlebt?

Bianca: Auf der Geschäftsstelle gab es schon immer viel Bewegung. Ich fand den Generationenwechsel, sowohl in Bezug auf das Alter als auch auf die Erneuerung des Teams, sehr spannend. Selbstverständlich habe ich manchmal den alten Arbeitskolleg*innen nachgetrauert, da man eingespielte Routinen hatte. Aber ich sah es als Privileg, mit jüngeren Frauen zusammenzuarbeiten. Ich brachte viel Arbeitserfahrung aus verschiedenen NGOs mit sowie eine starke Vernetzung im Raum Zürich durch mein 40-jähriges politisches Engagement. Allerdings merke ich jetzt, dass meine Vernetzung auf die Bewegungen der 80er- und 90er-Jahre zurückgeht. Mit den neuen Bewegungen, wie dem feministischen Streikkollektiv oder der Klimabewegung, bin ich weniger vernetzt. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit war ich eher mit der älteren Generation verbunden. Daher finde ich den Wechsel bei medico sehr wichtig, um den Bezug und die Verbindung zu den neuen, jüngeren Bewegungen sicherzustellen. Dies schliesst auch den Wandel in der Kommunikation ein, die heute viel mehr online und in den sozialen Medien stattfindet.

Siro, welche Chancen und Herausforderungen siehst du für medico in den kommenden Jahren?

Siro: Ich erinnere mich daran, als ich 1992 in die PdA eingetreten bin, wurde mir gesagt: «Du musst den Mitgliederbeitrag bezahlen, den vorwärts abonnieren und, falls du etwas Geld übrig hast: spende es an die CSS!» Damals war die Linke in Zürich, weit über die Parteigrenzen hinaus, stark mit der CSS verbunden. Aber diese Generation stirbt langsam aus. Die grosse Herausforderung besteht nun darin, neue Spender*innen zu gewinnen. Es geht dabei nicht nur um die Spenden an sich, obwohl sie zentral sind, sondern auch um die Identifikation mit medico. Vor 30 Jahren war es selbstverständlich, dass medico ein wichtiger Teil einer revolutionären Linken war. Diese Bedeutung zu erhalten, ist eine grosse Herausforderung. Aber die jungen Bewegungen, die Bianca erwähnt, bieten auch eine grosse Chance.

Was willst du dem Team und den Leser*-innen noch mitgeben, Bianca?

Bianca: Was mich immer besonders beeindruckt hat, ist der treue und grosszügige Stamm an Spender*innen von medico. Viele unterstützen uns seit Jahren. Einige haben uns sogar ein Legat vermacht. Dieses Vertrauen hat mich sehr gefreut. An dieser Stelle möchte ich allen Spender*innen für ihre Grosszügigkeit und Solidarität danken. Wie Siro betont, ist es eine zentrale Aufgabe des Teams, weiterhin die engagierte Unterstützer*innenbasis zu pflegen, die wegen der Inhalte mit medico verbunden ist.