Das Ejército Zapasta de Liberación Nacional (EZLN) hat zur ‹Planetenreise› aufgerufen. Erste Station ist Europa. Das Ziel: Der Austausch mit sozialen und Widerstands-Bewegungen. Auch ein Besuch in der Schweiz ist geplant.
Judith Huber
Die Delegation der Gira zapatista por la vida besteht aus Mitgliedern des mexikanischen Nationalrates der Indigenen und der Front der indigenen Völker zur Verteidigung des Wassers und der Erde (FDPTA). Besonders stark vertreten sind FLINT1Personen aus zapatistischen Gemeinden. Ein Teil der Gruppe segelt bereits seit Anfang Mai von Mexiko in Richtung Galizien – eine symbolträchtige Schifffahrt 500 Jahre nach der ‹Eroberung Amerikas› durch die spanische Krone. Wir haben uns mit Meztli und Sophie über die Bedeutung der Reise, feministische Perspektiven und internationale Solidarität unter-halten. Meztli ist als Vertreterin ihrer Dorfgemeinschaft und der FDPTA Teil der zapatistischen Delegation2. Die Schweizerin Sophie lebt zurzeit in Mexiko und forscht zu Extraktivismus, Neokolonialismus und zum zapatistischen Einfluss auf die Widerstandsbewegungen gegen das Energiemegaprojekt Proyecto integral de Morelos. Als Mitglied des Encuentro feminista zapatista ZH/BS ist sie auch Teil der Koordination der Gira im Sommer/ Herbst 2021 in der Schweiz. Geplant ist unter anderem ein öffentlicher, anti- patriarchaler, feministischer Schauprozess im Stile eines Volkstribunals.
medico: Warum findet die Gira zapatista gerade jetzt statt?
Sophie: Am 13. August 2021 sind es exakt 500 Jahre seit der Eroberung Tenochtitlans durch die spanische Krone. Dies nehmen die Zapatist*innen zum Anlass, die Kolonialisierung und mit ihr die Versklavung und gewalttätige Unterdrückung der indigenen Bevölkerung des heutigen Mexiko’s zu verarbeiten und zu überwinden. Die Reise hat mehr als symbolische Bedeutung. Die Überquerung des Ozeans – interpretiert als geographische Rückwärtsbewegung – soll gemäss der zapatistischen Kosmovision die schmerzhafte, bis heute andauernde Negierung des Lebens der Indigenen Völker als historische Tatsache überwinden und ‹heilen›.
Was soll die Gira in Europa auslösen?
Meztli: Ich möchte die Stimmen unserer Gemeinden weitergeben. Die Menschen in Europa sollen erfahren, dass wir genauso wie sie zahlreiche Probleme haben und sie sollen erkennen, dass sie ebenso mit Schmerzen umgehen müssen, wie wir es müssen. Wir alle tragen die Schmerzen der Geschichte in uns.
Wie organisiert ihr eure Gemeinden für die Gira?
M: Momentan versammeln wir uns täglich. Alle Themen, die angesprochen werden, nehme ich mit. Besonders wichtig sind mir die Anregungen der Frauen, weil auch wir als Frauen das Recht haben, unsere Meinung zu äussern.
Welche Bedeutung haben frauenspezifische Widerstandspraktiken in der zapatistichen Bewegung?
M: Ich betrachte Zapatistas nicht als Feminist*innen, nehme aber wahr, dass sie Feminist*innen respektieren. Auch ich verstehe mich nicht als Feminist*in. Es ist mir vielmehr wichtig, frei ausdrücken zu können, was wir als Frauen möchten. Als Frauen im Zapatismus, wie auch in den Gemeinden von Juan C. Bonilla, beanspruchen wir eine Stimme und wir fordern von den Männern, uns diesen Respekt entgegenzubringen und den Machismo aufzugeben.
S: Der eigentliche zapatistische Aufstand fand nicht 1994, sondern 1993 mit der Verkündung des revolutionären Frauengesetzes statt. Seit der Gründung das EZLN spielen Frauen und Otroas [Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität] eine zentrale Rolle in der Organisation. Durch die frauen- spezifischen Rechte innerhalb der Bewegung, haben die Compañeras weit über die zapatistischen Gemeinden hinaus eine bemerkenswerte Veränderung der Geschlechterverhältnisse erkämpft. So besteht auch die Delegation der Gira aus 75 % Frauen und Otroas.
M: Frauen sind mächtiger geworden. Die Männer haben gemerkt, dass wir genauso intelligent und präsent sind, dass wir nicht hinter den Herd gehören. Sie anerkennen, dass wir Frauen ebenso existieren und fühlen. Als Frauen geben wir Leben und kämpfen für das Leben. Deswegen nehme ich an dieser Gira teil.
Welche Bedeutung haben internationale Solidarität und Vernetzung für die Zapatistas?
M: Ich finde die Solidarität zwischen den Zapatistas und den Menschen von anderswo sehr wichtig. Zudem glaube ich, dass über einfache Solidarität hinaus zwischen diesen Gruppen ein Bündnis entstehen wird.
S: Seit dem Aufstand hat die zapatistische Guerilla auf internationale Vernetzung gesetzt und diese mit Treffen und Solidaritätsbekundungen mit anderen Bewegungen bestärkt. Die Hauptaussage lautet nicht «Solidarisiert euch mit uns!» sondern, «Hinter den Masken sind wir wie ihr!» Das heisst so viel wie: «Unsere Kämpfe sind verschieden, aber vergiss nicht, deinen Kampf in deinem Quartier, in deiner Stadt zu führen. Der Zapatismus ist Inspiration für andere Kämpfe, für eine andere Welt, in der viele Welten Platz haben!»