Im Nordosten Syriens haben Frauen verwirklicht, was vielerorts auf heftigen Widerstand stossen würde: Ein Dorf von Frauen für Frauen – Jinwar auf Kurdisch. Seit 2020 unterstützt medico international schweiz das lokale Gesundheitszentrum.
Maja Hess
Am 25. November 2016 legten Aktivistinnen, nach Beratungen mit den zivilen Komitees und in Absprache mit der Selbstverwaltung Rojava’s, den Grundstein für die Siedlung. Solidarische Frauengruppen stellten tausende von Lehmziegeln her, mit denen Haus um Haus errichtet wurde. Dabei nutzen sie das traditionelle Wissen der kurdischen und arabischen Frauen in den umliegenden Weilern. Die Gebäude sollen gegen die unerbittliche Hitze des Sommers und die empfindliche Kälte des Winters schützen. Heute umfasst das Dorf 30 Wohnhäuser, Schulgebäude, eine Bäckerei, einen kleiner Laden, eine Akademie – der Ort der Zusammenkunft und der Wissensvermittlung – und das Gesundheitszentrum Sifajin.
Genau zwei Jahre nach der Grundsteinlegung, am 25. November 2018, konnte Jinwar eingeweiht werden. Der Tag gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen steht symbolisch für das Leitbild des Dorfes: Es soll ein Ort frei von Gewalt und Unterdrückung sein, wo Frauen und Kinder gemeinsam den Alltag gestalten und allen Partizipationsmöglichkeiten offenstehen.
Auch wirtschaftlich funktioniert Jinwar kollektiv. Vom Verdienst aus Getreideanbau, Bäckerei, Gemüseverkauf und dem kleinen Laden sowie von der Selbstversorgung mit Brot, Gemüse und Schafmilch leben die Frauen und Kinder gut, wenn auch bescheiden.
Viele der in Jinwar lebenden Frauen sind vor der Gewalt ihrer Männer oder vor den patriarchalen Clanstrukturen geflohen. Andere wurden von den Angriffen der türkischen Armee in die Flucht getrieben oder haben ihren Ehemann im Kampf verloren und wollen nicht mit ihren Kindern in dessen Herkunftsfamilie leben, wie es die herkömmliche Gesellschaftsstruktur vorsieht. Gleichzeitig gestalten Frauen das Frauendorf mit, die aufgrund ihres politischen und feministischen Kampfes eine andere Lebensform wählen. Gemeinsam schaffen sie eine neue Wirklichkeit für Frauen und nennen das Dorf das «feministische Herz von Rojava».
Die Gesundheitsversorgung anders zu gestalten, ist revolutionär in Rojava. Den meisten Ärzt*innen wurde in der Ausbildung eine westliche und sehr medikamentengläubige Medizin beige- bracht. Dies mag bei ernsthaften somatischen Erkrankungen hilfreich sein, ist aber bei den häufigen psychosomatischen und stressbedingten Symptomen, an denen gerade Frauen leiden, kontraproduktiv. Hier versuchen die Gesundheitsarbeiterinnen von Sifajin, mit alternativen Heilverfahren neue Perspektiven zu eröffnen. Sie streben mit einer Kombination aus westlichem und vernetztem traditionellen Wissen eine Humanisierung der Medizin an.