Das letzte Jahr war geprägt von der stetigen Sorge um unsere Kolleg*innen in Nicaragua. Im zunehmend autoritären Kontext geraten insbesondere Frauenorganisationen stark unter Druck. Mutig führen die medico-Projektpartner*innen ihre Arbeit weiter, wir unterstützen sie solidarisch.

Elvira Ghioldi & Sabina Moor

Wenn unsere Kolleg*innen berichten, dass ihre Menschen- und Frauenrechtsarbeit durch gesetzliche und juristische Mittel massiv erschwert wird und sie sich aus Angst vor repressiven Massnahmen der Regierung nicht mehr politisch äussern können, erfüllt uns dies mit Ohnmacht und Wut. Die Wiederwahl des Ehepaars Ortega-Murillo als Präsident und Vizepräsidentin im November 2021 war keine Überraschung. Vor den Wahlen hatte Präsident Ortega seine Politik des Machterhalts verschärft und die zersplitterte Opposition mittels Parteiverboten und Festnahmen ausgeschaltet. Die Wahl, zu der erneut keine unabhängigen Beobachter*innen zugelassen wurden, wird von Regierungskritiker*innen und internationalen Institutionen als Farce bezeichnet. Doch das Präsidentschaftspaar Ortega-Murillo geniesst in der Bevölkerung aufgrund erfolgreicher Sozialprogramme und der im Vergleich zu zentralamerikanischen Nachbarländern geringen Gewaltrate weiterhin beachtliche Unterstützung. Als Organisation mit historischer Verbindung zur sandinistischen Revolution, nimmt medico international schweiz besorgt wahr, dass der zunehmend autokratischen Regierung mit der Diskreditierung von Frauenkämpfen und Basisinitiativen die emanzipatorische Kraft abhanden gekommen ist.

Standhaftigkeit und Flexibilität

Es ist uns ein grosses Anliegen, gerade in solch schwierigen Zeiten, verlässliche Partnerinnen für unsere Kolleg*innen

in Nicaragua zu sein. Frauen zu unterstützen, die für ein gesundes, sicheres und selbstbestimmtes Leben kämpfen, gewinnt im Kontext von verstärkter Einschüchterung und Repression an Bedeutung. Wir bewundern die Flexibilität, Standhaftigkeit und den unermüdlichen Einsatz der medico-Partnerorganisationen in Nicaragua. Die Zusammenarbeit verlangt im Moment viel Vorsicht, Umsicht und Nachsicht – das aufgebaute Vertrauen zu den Partner*innen hilft uns dabei.

Jugendarbeit

Ein Arbeitsschwerpunkt der medico-Partner*innen in Nicaragua ist die Präventionsarbeit mit Jugendlichen. Das Programm Radio machen ist doppelt wirksam: Die rund 200 Kinder und Jugendlichen, die in Gruppen Radiobeiträge zum Recht auf ein Leben frei von physischer und sexualisierter Gewalt erarbeiten, lernen sich anhand konkreter Inhalte verbal auszudrücken und stärkten damit ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Die zuhörenden Kinder und Jugendlichen profitieren vom aufklärenden Inhalt der Radiobeiträge. Das Frauenkollektiv Masaya führte im Jahr 2021 vier Kurse für Jugendliche zum Thema «Verhütung von Jugendschwangerschaft» durch. Auf spielerische Art lernen sich die jungen Frauen und Männer kennen und bauen Vertrauen auf. In Kleingruppen bearbeiten sie das Thema Teenagerschwangerschaft und mögliche Folgen in Rollenspielen. Zum Schluss teilen sie ihre Erkenntnisse im Plenum und lernen dabei, öffentlich über tabubeladene Themen zu sprechen. So gewinnen sie Selbstvertrauen, aber auch ein Gefühl für gegenseitige Verantwortung und Verbindlichkeit, die nahe Beziehungen und Sexualität erfordern. Sie lernen, dass es ihnen zusteht, sexuelle Wünsche und Grenzen zu formulieren, welche Verhütungsmittel es gibt, und wie sie richtig angewendet werden. Das Ziel ist, ihnen Instrumente mitzugeben, um ihre Jugend aktiv gestalten zu können und physisch wie psychisch möglichst gesund zu bleiben.

Frauengesundheit

Wie in den vergangenen Jahren lag ein Schwerpunkt der Gesundheitsprogramme auf der Vorbeugung von Gebärmutterhals- und Brustkrebs und HIV-Übertragung. Das Frauenkollektiv Masaya organisierte in verschiedenen Gemeinden Sensibilisierungsveranstaltungen mit der Möglichkeit, einen Gebärmutterhalsabstrich oder einen HIV-Test vor Ort zu machen. Seit 2021 unterstützt medico ein Programm von Movicancer zur Früherkennung von Krebserkrankungen und Behandlung von Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses. Das Team des Mütterhauses Nueva Guinea bekam 2021 Verstärkung mit einer zusätzlichen Pflegefachfrau. Für die Frauen aus ländlichen Gebieten bleibt das Angebot des Mütterhauses in Zeiten der wirtschaftlichen Krise überlebenswichtig, da die Gynäkolog*innen ihre Dienstleistungen hier zu deutlich tieferen Preisen anbieten als in Privatkliniken. Zudem besteht eine direkte Zusammenarbeit mit der Geburtshilfe der staatlichen Krankenhäuser Nueva Guinea und Juigalpa.

Schutz und psychologische Begleitung

Rund 360 Frauen, Kinder und Jugendliche fanden im letzten Jahr im von medico unterstützten Frauenhaus in Managua Hilfe in Notsituationen. Während und nach dem Aufenthalt werden sie von Psycholog*innen und Jurist*innen begleitet. Die angespannte politische Lage und die Covid-Situation erschweren die ohnehin belastende Arbeit zu Gewalt gegen Frauen. Einen besonderen Meilenstein erreichte die Casa de la Mujer Nueva Guinea 2021. Neben der medizinischen Schwangerschaftsbegleitung bieten sie neu Gesprächstherapiesitzungen für Frauen und werdende Mütter an. Die Frauen nehmen das Angebot gerne wahr.