Los Angelitos setzt sich seit 2004 für die Förderung und soziale Integration von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen ein. Als Elternorganisation gegründet, steht der Verein heute vor der Herausforderung, den Jugendlichen und inzwischen jungen Erwachsenen selbst mehr Mitspracherecht zu geben. [Alice Froidevaux, November 2021]

«Unsere Organisation ist über die Jahre mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen gewachsen,» erzählt Carole Buccella, Physiotherapeutin und Koordinatorin bei Los Angelitos. «Immer mehr steht die Frage im Zentrum, wie wir mit ihnen arbeiten können – und nicht für sie.» Vor drei Jahren wurde ein Organisationsentwicklungsprozess angestossen, mit dem Ziel, dass die Jugendlichen zunehmend eine aktive Rolle übernehmen und an Entscheidungen beteiligt werden. So soll ihre Autonomie sowohl innerhalb von Los Angelitos, als auch in ihren Familien und ihren Gemeinden gestärkt werden.

«Der Prozess wurde leider durch die Corona-Pandemie stark ausgebremst. Anfang dieses Jahres konnten wir die Jugendarbeit in kleinen Gruppen wieder aufnehmen und die Motivation der Beteiligten nach dem Lock-down war riesig,» berichtet Carole. Es ist das erste Mal, dass nicht mit den ganzen Familien, sondern ausschliesslich in Jugendgruppen gearbeitet wird. Es sollen Räume für die gemeinsame Reflexion geschaffen werden. Die Jugendlichen sollen sich selbständig untereinander austauschen, debattieren und voneinander lernen. «Eine solche Entwicklung braucht aber Zeit. Im Moment sind wir als Koordinator*innen immer noch sehr präsent. Die aktuelle Herausforderung ist, dass die jungen Menschen diese Räume mehr und mehr zu ihren eigenen machen,» so Carole.

Auch bei der Durchführung der Aktivitäten von Los Angelitos übernehmen die Jugendlichen heute mehr Verantwortung. «Sie realisieren Koordinations- oder Moderationsaufgaben und stärken so das Vertrauen in ihre Fähigkeiten,» erzählt Oscar, Sozialarbeiter im Team von Los Angelitos. «Es ist wichtig, den jungen Menschen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen und ihnen so neue Horizonte zu eröffnen. Aber wir sind uns auch bewusst, dass die Chancen nicht für alle gleich sind. Oftmals ist es einfacher, eine Person mit einer körperlichen Beeinträchtigung aktiv in einen Ablauf zu integrieren, als eine mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Trotzdem versuchen wir, alle miteinzubeziehen.»

Wissen weitergeben

Edenilson Galdámez ist 21-jährig und im letzten Studienjahr zum Orthesen- und Prothesen-Techniker. Er selbst kam mit einem nicht vollständig ausgebildeten Bein zur Welt. Er erinnert sich: «Schon als kleiner Junge wurde ich in die Vereinigung Los Angelitos aufgenommen und dank ihrer Unterstützung erhielt ich mit sieben Jahren meine erste Prothese. Durch die Sportaktivitäten habe ich Kontakte mit anderen Kindern geknüpf. Ich wurde gefördert und hatte 2018 sogar die Möglichkeit, an inter-nationalen paralympischen Wettkämpfen teilzunehmen.» «Auch neben dem Sport hat sich schnell gezeigt, dass Edenilson eine besondere Motivation und besondere Talente hat,» erzählt Carole stolz. «Heute ist er eine grosse Unterstützung für die Organisation.» 

«Seit ich meine erste Prothese erhalten habe, hatte ich die Idee Kopf, dass ich irgendwann meine eigene Prothese herstellen möchte. Und später kam der Wunsch dazu, andere so unterstützen zu können, wie ich unterstützt wurde,» schildert Edenilson begeistert. Heute erfüllt sich sein Wunsch. Mit einem Stipendium kann er an der privaten Universität Don Bosco sein Studium in Orthesen- und Prothesen-Technik absolvieren. Seine obligatorischen Sozialstunden hat er bei 
Los Angelitos geleistet: «Los Angelitos ist für mich wie eine zweite Familie geworden und ich möchte etwas zurückgeben. Mit Carole gebe ich Workshops zu Gebrauch und Instandhaltung von Rollstühlen. Durch eine Kooperation mit meiner Uni konnten wir zudem für mehrere Kinder des Vereins neue Prothesen anfertigen. So kann ich mein Wissen weitergeben und gleichzeitig weiter von der grossen Erfahrung des Angelitos-Teams lernen.»

Eine aktive Rolle einnehmen

Der heute 39-jährigen Jandal Ortiz fällt es immer noch schwer, über ihre Geschichte zu sprechen. «Ich sitze aufgrund einer Schussverletzung seit ich 17 bin im Rollstuhl. Das Schwierigste für mich ist, dass der Schuss wirklich auf mich gerichtet war – es war kein Unfall. Die erste Zeit habe ich nur geweint. Ich brauchte sehr lange, um mein neues Leben akzeptieren zu können.»

Zu Los Angelitos kam Jandal erst als 24-Jährige durch ihren Vater. Als er von der neuen Vereinigung hörte, schloss er sich sofort an und war dann zeitweise als Vorstandspräsident tätig. «Seit er etwas kürzertreten musste, habe ich selbst eine aktivere Rolle übernommen in der Organisation und vertrete mich jetzt selbst,» berichtet Jandal. «Erst bei Los Angelitos habe ich erfahren, welche Rechte Menschen mit Beeinträchtigungen haben. Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu schämen und bin wieder aus der Isolation getreten.» Durch das Moderieren von Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit konnte Jandal neues Selbstvertrauen gewinnen. Sie ist in der Region zu einem bekannten Gesicht geworden. Vor Kurzem wurde sie angefragt, in einem Musik-Video mitzuspielen, als Protagonistin der Liebesgeschichte. Sie hat zugesagt: «Ich war nervös, aber es war eine sehr schöne Erfahrung. Das Spezielle war, dass der Mann in der Liebesgeschichte, der Sänger der Band, keine Beeinträchtigung hat. Für mich war das eine Bestätigung, dass wir so sind wie alle anderen – dass wir das Recht haben, uns zu verlieben und eine Beziehung zu leben. Es gibt keine Grenzen!»