Windkraft gilt als klimafreundliche Zukunftstechnologie. Am Istmo de Tehuantepec im mexikanischen Oaxaca zeigen sich ihre Schattenseiten. Dort kämpfen indigene Gemeinden gegen Mega-Windparks europäischer Konzerne und für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen.
Alice Froidevaux
«In der Landenge von Tehuantepec besteht ein besonders fragiles ökologisches Gleichgewicht, es ist ein Lagunengebiet,» erklärt Sara Méndez von der medico-Partnerorganisation Comité de Defensa Integral de Derechos Humanos (Codigo DH). Traditionell ist die Region von der Fischerei und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft geprägt. Sie birgt eine grosse biologische und ethnische Vielfalt. Heute sieht die indigene Bevölkerung ihre Lebensgrundlagen immer stärker bedroht. «Die grösste Sorge der Gemeinden ist die zunehmende Wasserknappheit, die sich negativ auf die Lebensmittelproduktion, die Hygiene und somit auf die Gesundheit der Menschen auswirkt. Die immer stärkeren Hitzewellen und der fehlende Regen sind nur ein Teil des Problems – hinzu kommt die Frage nach dem Zugang und der Qualität des Wassers, und da spielen wirtschaftliche Grossprojekte eine wichtige Rolle,» führt Sara weiter aus.
Aufgrund seiner geographischen Lage ist die flache Landenge zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik eine der windreichsten Regionen der Welt. Im Zuge der Energiewende wurde sie deshalb zu einem neuen Eldorado für europäische Stromkonzerne, wie die deutsch-baskische Siemens Gamesa Renewable Energy oder die italienische Enel Green Power. Bereits 28 Windparks wurden gebaut, ohne die lokale Bevölkerung angemessen zu informieren oder zu konsultieren, wie es die in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegten Rechte indigener Gemeinden verlangen.
«Das Problem ist, dass die europäischen Firmen sich hier weder an internationales Recht halten, noch die Umweltnormen erfüllen, die sie in ihren Ländern erfüllen müssten,» erklärt Sara. Konkret geht es dabei etwa um die Abstandsregelungen zwischen Windkraftanlagen oder um deren Instandhaltung. Bei unserem Besuch in der Region weist uns der Bauer und Umweltaktivist Edgar Regalado auf die dunklen Stellen an den Windrädern hin, die sich in kilometerlangen Linien aneinanderreihen. «Aufgrund der schlechten Wartung verlieren die Turbinen Öl, das dann auf die Felder tropft, auf denen Getreide wächst und Kühe weiden,» erklärt er. Seit den Bauarbeiten zur Errichtung der Windparks werden zudem stark erhöhte Arsenwerte im Wasser gemessen und die tonnenschweren, tief in den Boden verankerten Windtürme unterbrechen die unterirdischen Wasserpfade des komplexen Lagunensystems und trocknen so Trinkwasserquellen aus.
«Erneuerbare Energieprojekte können nicht allein mit der Begründung gerechtfertigt werden, dass sie sogenannte saubere Energie erzeugen,» kritisiert Sara. Denn wie könne von ‹sauberer Energie› die Rede sein, wenn die Projekte die lokalen Gemeinschaften und Ökosysteme nicht berücksichtigen? Grosse Unternehmen prahlen mit solchen ‹grünen Projekten›. In der Realität reproduzieren sie jedoch die extremen Ungleichheiten zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden wie auch zwischen dem Zentrum, also der Hauptstadt, und der Peripherie im jeweiligen Land. «Im Kampf gegen die Klimakrise werden koloniale Strukturen zementiert,» so Sara. «Es wird über die Köpfe der lokalen indigenen Bevölkerung hinweg entschieden und, obwohl die Gemeinden hier kaum etwas zum weltweiten CO2-Ausstoss beitragen, sind es sie, die nicht nur die Auswirkungen der Klimakrise stark zu spüren bekommen, sondern auch mit den Windparks als vermeintlicher Teil der Lösung vor ihrer Haustüre leben müssen.» Hinzu kommt: Die der Region versprochenen Strompreissenkungen sind allenfalls minimal. Der Grossteil des in den Windparks produzierten Stroms wird an Grossabnehmer wie CocaCola, die Supermarktkette Walmart oder die Zementindustrie verkauft.
Mitten im Windkraft-Eldorado haben es die Gemeinden Unión Hidalgo und San Dionisio del Mar bis heute geschafft, die geplanten Projekte auf ihrem Territorium zu verhindern, indem sie Informationen über deren Auswirkungen sammelten, internationale Beschwerden und rechtliche Schritte einleiteten, Strassenblockaden sowie Protestcamps durchführten. In Mexiko braucht solcher Widerstand besonderen Mut. Seit vielen Jahren gilt das Land als eines der gefährlichsten für Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen weltweit. Mit 54 Morden war Mexiko 2022 sogar der tödlichste Ort für Umweltschützer*innen.
Zur ständigen Bedrohung kommt der steigende wirtschaftliche Druck auf die Familien und die sich gegenseitig verstärkende Migration und Kriminalität in der Region. Oft führt diese Mehrfachbelastung auch zu einer emotionalen Aufladung und schliesslich zu Gewalt innerhalb der Familien. «Die Anspannung ist sehr hoch und insbesondere die Frauen haben ein grosses Bedürfnis nach Räumen, wo sie sich mitteilen können,» erzählt Sara.
Seit mehreren Jahren unterstützt Codigo DH die beiden Gemeinden im Widerstand im juristischen, medizinischen und psychosozialen Bereich. Die Begleitung zu Arztterminen oder durch ermüdende Rechtsverfahren ist für die einzelnen Aktivist*innen oft ausschlaggebend, um sich weiterhin für die Anliegen ihrer Gemeinden einsetzen zu können. «Wenn wir von psychosozialer Begleitung sprechen, beziehen wir uns nicht primär auf die klassische Therapie,» erklärt Sara, «vielmehr ist es ein grosser Teil unserer Unterstützungsarbeit, da zu sein und sichere Räume zu schaffen. Die Vorstellung von Fürsorge ist in den indigenen Gemeinden viel kollektiver.» So ermöglicht Codigo DH den Bewohner*innen die Durchführung von Gruppentreffen und Workshops, um sich auszutauschen und weiterzubilden – von Kursen zur Verarbeitung von Früchten zu Marmelade oder der Herstellung von Naturmedizin bis hin zu fachlich begleiteten Gruppen zur gegenseitigen emotionalen Unterstützung in der Krise.
«Es ist ermutigend zu sehen, wie sich die Frauen trotz ihrer vielen Aufgaben die Zeit für solche Treffen nehmen und die Initiativen schliesslich zu ihren eigenen machen und weiterentwickeln,» schwärmt Sara, «sie suchen nach alternativen wirtschaftlichen Aktivitäten, die lokale Ressourcen und Produkte in den Fokus stellen und die Umwelt nicht belasten, und sie setzen sich ein für ein gesundes Miteinander – auch das sind Formen des Widerstandes!»