Seit Anordnung der Massnahmen des Internationalen Gerichtshofs zum Schutz der Palästinenser*innen vor Völkermord hat Israel seine Kriegsführung nicht nur fortgesetzt, sondern weiter verschärft. Warum wir in unserer zukünftigen Kommunikation den Begriff Genozid verwenden, erläutern wir hier.

Bilder der Zerstörung aus Gaza ©Activestills, Yousef Zanoon

Missachtung des Internationalen Gerichtshofs

Am 26. Januar 2024 eröffnete der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf Antrag Südafrikas ein Verfahren gegen Israel wegen des Verdachts auf Völkermord. Nach den ersten Anhörungen erliess das Gericht vorläufige Schutzmassnahmen. Es hielt es für plausibel, dass das Recht der Palästinenser*innen auf Schutz vor Genozid gemäss der Völkermordkonvention verletzt wird und Israel weiterhin Handlungen begeht, die möglicherweise genozidal sind. Die israelische Regierung hat diese Anordnung jedoch weitgehend missachtet und die Gewalt seitdem weiter intensiviert. Die israelischen Streitkräfte haben weite Teile des Gazastreifens systematisch zerstört, die Bevölkerung mehrfach vertrieben, Zehntausende Zivilpersonen getötet oder schwer verletzt und lebenswichtige Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen und Wohngebäude angegriffen. Die weitgehende Abriegelung des Gazastreifens verhindert zudem eine ausreichende Versorgung mit humanitärer Hilfe. Diese Handlungen erfüllen zentrale Kriterien der Völkermordkonvention – darunter die gezielte Tötung von Mitgliedern einer Gruppe sowie die Zufügung schweren körperlichen oder seelischen Leids mit der Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Die meisten westlichen Staaten sehen dem Geschehen nicht nur tatenlos zu, sondern leisten teils auch militärische Unterstützung an Israel.

Verurteilung aller Kriegsverbrechen

Im November 2024 hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie gegen die Hamas-Anführer Mohammed Deif, Yahya Sinwar und Ismail Hanija erlassen. Bereits im Mai 2024 hatte Chefankläger Karim A.A. Khan diese Haftbefehle wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Wir verurteilen die Verbrechen aller Parteien und fordern von allen Akteuren die uneingeschränkte Einhaltung des Völkerrechts. Wir verurteilen sowohl die illegale Besatzung palästinensischer Gebiete und die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den israelischen Staat als auch die Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2023. Wir lehnen islamistischen Terror gegen Zivilist*innen entschieden ab – sei es durch die Hamas in Palästina und Israel, durch islamistische und Türkei-treue Milizen in Rojava, den IS im Shengal oder aktuell durch die HTS in Syrien.

Verantwortung einfordern

Lange haben wir den Begriff Genozid in unserer Kommunikation nicht angewendet, da wir uns der politischen und juristischen Tragweite des Vorwurfs bewusst sind. Wir haben sorgfältige Diskussionen geführt und uns mit der Haltung verschiedener angesehener Organistionen auseinandergesetzt. Angesichts der systematischen Gewalt, der gezielten Zerstörung und der Verhinderung jeglicher Fluchtmöglichkeiten durch Israel schliessen wir uns heute der Einschätzung zahlreicher Expert*innen an: Umfassend belegte Untersuchungen des UN-Sonderausscchusses, von Amnesty International, Human Rights Watch sowie führender Wissenschaftler*innen wie dem israelischen Genozidforscher Omar Bartov kommen zum Schluss, dass Israel seit Oktober 2023 in Gaza Völkermordhandlungen begeht. Auch die umfangreiche Dokumentation lokaler Organisationen – darunter langjährige Partner*innen von medico international schweiz– können wir nicht ignorieren. Die Entscheidung, in unserer zukünftigen Kommunikation den Begriff Genozid/Völkermord zu verwenden, folgt dem Anspruch, internationale Verantwortung einzufordern – sowohl für die Verhinderung weiterer Verbrechen als auch für die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen aller Beteiligten. Die Schweiz trägt als Depositarstaat der Genfer Konventionen und Unterzeichnerin der Völkermordkonvention eine besondere Verantwortung. Mit dieser Positionierung stehen wir an der Seite unserer Partner*innen und Verbündeten, die weltweit für Gerechtigkeit und Menschenrechte kämpfen.