Die anhaltende Corona-Pandemie und die erneute Eskalation des Nahostkonfliktes im Mai 2021 haben die Abschottung der besetzten palästinensischen Gebiete noch einmal verstärkt. Gegen alle Widerstände setzen die medico-Partner*innen ihren Kampf für eine Gesundheitsversorgung für alle und um das eigene überleben fort.
Barbara Klitzke & Maja Hess
Seit Jahren kritisiert medico international schweiz, dass Israel als Besatzungsmacht die medizinische Versorgung der palästinensischen Bevölkerung politischen Zielen unterordnet und somit das Menschenrecht auf Gesundheit verletzt. Im Rahmen der strengen Pandemie-Politik Israels und der neuesten militärischen Angriffe auf Gaza nahm die Schwere der Verletzung nochmals zu. Die hermetische Abriegelung der Grenzen zum Westjordanland und zum Gazastreifen während des Lockdowns erschwerte die Behandlung von Corona-Patient*innen und chronisch kranken Menschen. Den israelischen Ärzteteams wurde die Einreise in die besetzten Gebiete verwehrt und Krankentransporte von Palästinenser*innen in israelische Spitäler wurden verunmöglicht. Zudem liess die international für ihre Effizienz gelobte Covid-Impfkampagne Israels die Bevölkerung in den besetzen Gebieten unberücksichtigt.
Im Mai 2021 löste die israelische Annexionspolitik die schwerste Gewalteskalation zwischen Israel und der Hamas seit Jahren aus. Die Leidtragenden waren erneut vor allem die Menschen in Gaza. Während 11 Tagen stand der Gazastreifen unter Beschuss der israelischen Luftwaffe. 250 Palästinenser*innen wurden getötet, über 2000 verletzt, tausende Menschen verloren ihr Zuhause. Verwundete und das Gesundheitspersonal waren besonders schutzlos, da es im Gegensatz zum Krieg in 2014 keinen humanitären Korridor gab – also keine Zusicherung Israels, dass sich medizinisches Personal im Gazastreifen bewegen kann, ohne Luftangriffe fürchten zu müssen.
Die medico-Partnerorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI) setzt sich seit über 30 Jahren für einen gerechten Zugang zur Gesundheitsversorgung aller Bewohner*innen Israels und der besetzten Gebiete ein. In mobilen Kliniken führen freiwillige israelische Ärzt*innen mit palästinensischen Berufskolleg*innen im Westjordanland und in Gaza unentgeltliche Konsultationen durch. PHRI dokumentiert auch Menschenrechtsverletzungen und leistet gezielte Lobby- und Sensibilisierungsarbeit in Israel und auf internationaler Ebene. In einer Stellungnahme rief PHRI im Mai zum Ende der Gewalt auf: ´Als Mediziner*innen, die körperlich und seelisch Verwundete behandeln, wissen wir nur zu gut, welchen Preis die Opfer von Gewalt und Hass zahlen. Einen Preis, den wir auch als verwundete, gespaltene Gesellschaft zahlen. Und wir wissen, wie langwierig und schwierig eine Heilung sein wird. Das Ende der Gewalt ist eine notwendige Voraus-setzung, um den sicheren Raum für den Heilungsprozess zu schaffen, den wir alle brauchen.ª Im September 2021 forderte PHRI eine unabhängige, wirksame und transparente Unter-suchung der mutmasslichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts im jüngsten Krieg.
Während der Bombenangriffe im Mai leisteten die Teams der Palestinian Medical Relief Society (PMRS) in Gaza an vorderster Front Erste Hilfe. Wegen der eingeschränkten Bewegungsfreiheit ist dabei der Einsatz von ausgebildeten freiwilligen Gesundheitshelfer*innen und Gemeindepromotor*innen in den verschiedenen Gebieten Gazas entscheidend. Sie werden von der PMRS mit Erste-Hilfe-Material ausgestattet. Die Zerstörung in Gaza ist gross und der Wiederaufbau geht aufgrund der israelischen Blockade nur schleppend voran. Die kriegsversehrten Menschen belasten das bereits strukturell überforderte Gesundheitswesen. Dank Ihrer grosszügigen Spenden, konnten wir die PMRS zusätzlich mit 15'000 CHF für spezialisierte medizinische Behandlungen, Rehabilitation und psychologische Begleitung von kriegsbetroffene Menschen unterstützen. «Mohannad erlitt bei einem israelischen Angriff eine Verletzung am vierten Halswirbel,» berichtet Ali vom PMRS-Team. «Der Junge war teilweise gelähmt. Seit September erhält er intensive Physiotherapie und kann heute mit Unterstützung bereits wieder einige Schritte gehen. Das ist unglaublich und macht uns sehr stolz!»
Die Bomben fielen in Gaza Tag und Nacht. Wir standen in Kontakt mit den Psychodramatiker*innen und hofften, dass sie und ihre Familien den Angriff unversehrt überstehen. Nach Beendigung der Kämpfe begannen sie sofort wieder zu arbeiten. In Aktion zu treten erleichtert ihnen das psychische überleben. Denn auch sie kämpfen gegen die schrecklichen Eindrücke des Krieges. Da eine Reise nach Gaza wegen der Massnahmen Israels zur Eindämmung von Covid-19 bisher nicht möglich war, unterstützen die Psychodrama-Fachpersonen Ursula Hauser und Stefan Flegelskamp die Kolleg*innen mit Online-Supervisionen. Das erste digitale Treffen nach dem Krieg war sehr emotional. Die Erleichterung, dass alle überlebten hatten, war riesig. Nun galt es, den Schmerz, die Bilder, Ängste und Erlebnisse gemein-sam zu besprechen und zu verarbeiten. Die Kolleg*innen erzählten von der Arbeit mit ihren Gruppen und Klient*innen, vom Umgang mit Gefühlen der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Mit dem Psychodrama unterstützen sie seit vielen Jahren Kinder und Erwachsene, stärken deren Überlebens- und Widerstandskraft und bieten einen sicheren Raum in einer äusserst unsicheren Region.