Sich im stark religiös geprägten El Salvador als Feministin zu bezeichnen kann einschneidende Folgen haben. Unter der aktuellen rechtspopulistischen Regierung ist es sogar gefährlich. Inwiefern kann in ländlichen Gebieten eine feministische Perspektive auf die Gesundheitsversorgung entwickelt und umgesetzt werden? Eine Annäherung am Beispiel des Engagements der Hebammen von Suchitoto.

Maja Hess

Würden die Hebammen von Suchitoto gefragt, ob sie Feministinnen seien, würde dies die Mehrheit wohl nicht so genau wissen. Bestimmt kennen sie Frauenorganisationen wie die Mélidas, die sich als feministisch bezeichnen, und sie fühlen sich diesen verbunden. Aber in der alltäglichen Realität der von medico international schweiz unterstützten Hebammen sind Begrifflichkeiten weniger entscheidend als die Tat und die Haltung gegenüber den Frauen in ihren Dörfern und Weilern. Wie kaum jemand sonst kennen sie den Schmerz älterer und junger Frauen bis in die intimsten Details. Sie kennen diesen Schmerz vom Zuhören, aber auch aus ihrem eigenen Leben. Sie haben sich entschieden, solidarisch zu sein mit dem eigenen Geschlecht und sich gegen eine patriarchale Perspektive der Macht und die Abwertung des Frauseins zu wehren.

Damit Gesundheit kein Privileg bleibt

Wenn die empirischen Hebammen von Haus zu Haus gehen und die schwangeren Frauen beraten und untersuchen, tun sie dies mit einer wohltuenden Zuneigung und Behutsamkeit. Frauensolidarität schwingt mit. Bedingungslose Unterstützung der Schwangeren in dieser physisch und psychisch verletzlichen Phase ihres Lebens ist ein Herzstück ihrer Hebammentätigkeit. Früher durften die Hebammen noch Hausgeburten durchführen. Dies war einst der wichtigste Teil ihres Auftrages, den sie mit viel Liebe und über die Jahre gewonnene Professionalität ausgeführt hatten. Auch nachts gingen sie stundenlang zu Fuss zu den Frauen in ihre bescheidenen Häuser auf dem Land, um ihnen mit ihrem Wissen und ihrer Weisheit zur Seite zu stehen und sie fachkundig durch die anstrengenden Stunden einer Geburt zu begleiten. Sie nahmen das Neugeborene in Empfang und legten es der Mutter auf den Bauch oder in den Arm. Im Notfall halfen sie, eine Verlegung ins Spital zu organisieren. Mit der neuen Regelung des Gesundheitsministeriums, die den Empfehlungen der WHO zur Verringerung der Mutter- und Kindersterblichkeit folgt, müssen Geburten zwingendermassen in einem Krankenhaus stattfinden.2

Frauengesundheit und Gewalt

In den Spitälern und Gesundheitszentren schlägt den Schwangeren leider oft Verachtung entgegen, insbesondere den sehr jungen Frauen aus prekären ökonomischen Verhältnissen. Sexistische Äusserungen und Erniedrigungen sind an der Tagesordnung. Der Umgangston ist ruppig und die Untersuchungen werden grob und ohne Feingefühl durchgeführt. Gerade Teenager sind sehr schambesetzt. Sich vor Fremden zu entblössen, insbesondere vor männlichen Ärzten, lässt sie Qualen erleiden. Diese Scham wird ihnen oft als Vorwurf entgegen geschleudert: «Du hast Dich ja schwängern lassen, tu jetzt nicht so verklemmt!» Neben der unmenschlichen Dreistigkeit dieses Vorwurfs ist es leider Tatsache, dass für viele Frauen ihre ersten sexuellen Erlebnisse mit Gewalt und nicht mit Lust und Begehren verbunden sind. Viele werden unerwartet und unerwünscht schwanger. Dafür werden sie jetzt bestraft. Der Katalog der gewaltbesetzten und höchst unprofessionellen Behandlungen während. der Schwangerschaft und Geburt liesse sich unendlich fortsetzen. Der unbewusste Hass gegen das Frausein von Seiten der behandelnden Ärzte und auch weiblicher Pflegefachleute wird während der Geburt – dem Moment im Leben einer Frau, in dem sie speziell auf Unterstützung und Empathie angewiesen ist – besonders deutlich und kann für die Betroffenen traumatische Folgen haben.

Violencia obstétrica – also die Gewalt rund um Schwangerschaft und Geburt von Seiten des Gesundheitspersonals – ist ein Verhalten, das den Hebammen schon längst bekannt ist, aber jetzt einen Namen bekommen hat und endlich an die Öffentlichkeit kommt. Vilma Coreas, eine der Koordinatorinnen der Hebammenvereinigung von Suchitoto, konnte bereits an einem virtuellen Austausch zu diesem Thema mit Feminist*innen aus Mexiko und Argentinien teilnehmen. Sie war die einzige Frau an diesem Panel, welche noch nie eine Universität von innen gesehen hat, aber diese Form der Gewalt wie keine andere kennt. Endlich haben sie und ihre Mitstreiterinnen einen Raum gefunden, in dem sie über all diese Schrecklichkeiten berichten können, die bei den Hebammen Wut, Konsternation, Hilflosigkeit und Schmerz auslösen.

Feminismus und Widerstand

Heute wehren sich die Hebammen und überwinden ihre Ohnmacht. Sie begleiten die Schwangeren bis in den Gebärsaal, bleiben bei ihnen auch gegen den Willen des Personals. Sie stehen für die Frauen ein, stellen sich schützend vor sie hin und verlangen Respekt und Professionalität. Sie lassen die Gebärenden nicht allein! Wie unendlich wichtig und wirksam dies ist, zeigt die Dankbarkeit vieler frisch gebackener Mütter. Die Hebammen stehen im Bereich Frauengesundheit für Recht und Gerechtigkeit ein, tolerieren die Verachtung und Erniedrigung auf Grund ihres biologischen und sozialen Frauseins nicht. Sie brechen mit dem Schweigen und der Unterwerfung. Sie leben somit eine zutiefst feministische Haltung in Bezug auf die Gesundheit von Frauen vor – auch ohne theoretische Grundlagen oder Benennung.

Für die Umsetzung dieses Widerstands sind die Organisation und die Vernetzung mit anderen Frauengruppen unerlässlich. Das Kollektiv gibt ihnen Sicherheit und Stärke, bietet Raum für Diskussionen und bildet weiter. Auch Anfeindungen können gemeinsam besser überstanden werden. Und diese bleiben nicht aus – erst recht nicht in der aktuellen politschen Situation mit einem rechtsstehenden und zutiefst patriarchalen und misogynen Bukele als Präsident des Landes.

Frauengesundheit als Politikum

Unter anderem hat Bukele nach seiner Machtübernahme 2019 das Budget des Programms Ciudad Mujer (Frauenstadt) um 5 Mio. Dollar gekürzt. In den Zentren von Ciudad Mujer erhielten Frauen, die Gewalt erlitten hatten, kostenlos psychologische, juristische und gesundheitliche Beratung und Behandlung. Die ehemalige linksgerichtete Frente-Regierung erhielt viel Lob und internationale Zustimmung für diese Institution. Nun sind diese Dienstleistungen, welche eine feministische Perspektive auf die Frauengesundheit förderten, auf ein Minimum reduziert.

Eine der grössten Kontroversen im Land ist das äusserst restriktive und absolut unmenschliche Abtreibungsgesetz. Für angeblich illegale Abtreibungen beziehungsweise die angebliche Ermordung ihres ungeborenen Kindes sitzen Frauen in El Salvador bis zu 40 Jahren im Gefängnis – eine gravierende Verletzung der Frauenrechte im Bereich der reproduktiven Gesundheit. Die Diskussion um das Recht auf legale und sichere Abtreibung ist ein Kristallisationspunkt des Patriarchats. Darin spiegelt sich, wie immens die Kontrolle der männlichen Herrschaft und des verinnerlichten patriarchalen Denkens – auch von Frauen selbst – über die Sexualität und den Körper der Frau ist.

Auch für die Hebammen ist eine offene Diskussion über dieses Thema schwierig. Viele fühlen sich stark dem katholischen Glauben verbunden. Abtreibung widerspricht ihrer religiösen Anschauung. Dennoch setzen sie sich damit auseinander, was gut, richtig und für die Frauen in diesem Moment hilfreich sein könnte. Einige Hebammen unterstützen Schwangere in Not, verschaffen ihnen Kontakte zu verdeckt arbeitenden Fachleuten und damit zu Möglichkeiten, sicher abzutreiben. Alles muss sehr verschwiegen ablaufen, denn auch die Person, die nur eine Information weitergibt, kann verfolgt werden. Dies ein Grund mehr, warum das Thema nicht offen diskutiert wird: die reale Angst vor Strafverfolgung sitzt allen im Nacken.

Frauengesundheit ist viel mehr als ein Gesundheitsthema. Da sie die patriarchalen Denk-, Macht- und Handlungsmuster zutiefst in Frage stellen oder andererseits bestätigen kann, wird sie zu einem Politikum. Die Hebammen haben sich klar auf die Seite der Frauen gestellt, die in der Gesellschaft keine Macht und keinen Einfluss haben und sich nicht mit Geld ihr Recht auf Gesundheit kaufen können. So erkämpfen die Hebammen täglich ein Stück Gesundheit und Gerechtigkeit für die Frauen auf dem Land – damit Gesundheit kein Privileg bleibt!