In autokratischer Manier schafft Präsident Nayib Bukele soziale Errungenschaften in Bildung, Gesundheit und Frauenrechte ab und schränkt den Handlungsspielraum von lokalen NGOs ein. Dagegen regt sich breiter Widerstand, auch von Seiten unserer Projektpartner*innen.
Maja Hess
«Ich werde nie vergessen, was wir während des Krieges erlitten haben,» sagt Dolores, «das vergossene Blut, die Flucht, das Leben im Flüchtlingslager in Honduras und die Verschwundenen. Ich fühle mich verraten von den Leuten, die Bukele gewählt haben.» Tränen voller Schmerz und Wut laufen der erfahrenen Hebamme über das Gesicht. «Selbst schwangere und Frauen mit Kleinkindern brechen Richtung Norden auf. Erst letzthin hat eine Frau ihr Kind verloren, als sie den Grenzfluss zu den USA durchqueren wollte!» Seit der Machtübernahme von Bukele und der Pandemie hat sich die ökonomische und soziale Situation vieler Menschen deutlich verschlechtert. Die Regierung hat die demokratischen Einrichtungen ausgehöhlt, die Gewaltentrennung aufgehoben und die Repression gegen die Opposition verstärkt. Die Bevölkerung antwortet mit Massenprotesten.
Die Hebammen in Suchitoto treffen sich im neuen ‹Hebammenhaus›. Acht junge Hebammen sind frisch dabei. «Der Generationenwechsel ist uns wichtig», meint Vilma, die Koordinatorin. «Auch in den Vorstand sind jüngere Frauen gewählt worden!» Die Hebammen berichten über ihre Arbeit in der Schwangerschaftsbetreuung, Familienplanung und Geburtsbegleitung. Da das Erziehungsministerium die Zusammenarbeit abgebrochen hat, führen sie die Informationsarbeit mit Jugendlichen zu Themen wie sexuelle Gesundheit und reproduktive Rechte ausserhalb der Schulen weiter. Ein Herzensanliegen der Gruppe ist das Thema der violencia obstétrica, der medizinischen Fehlbehandlung sowie Misshandlung und eklatanten Entwertung von Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt. Seit Jahren berichtet der Hebammenverein von Fällen von gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt. Durch die Vernetzung im In- und Ausland ist es ihnen gelungen, Gehör und politischen Raum für die Thematik zu schaffen. Trotz Lockdown und politischem Druck haben die Hebammen weitergearbeitet, teilweise per Handy mit den schwangeren Frauen Kontakt gehalten. Zur aktuellen politischen Situation wollen sie nicht schweigen. «Wir werden weiter kämpfen für die Rechte der Frauen », bekräftigt Dolores.
Ende November, kurz vor der geplanten Jubiläumsfeier 25 Jahre Psychodrama, wurde das Büro der Frauenorganisation Las Mélidas von der Staatssicherheit und der Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Korruption durchsucht. Bei den Mélidas löste die Anwesenheit der vermummten Geheimpolizei traumatische Erinnerungen an die Zeit des Bürgerkrieges aus. Sie wehrten sich zusammen mit anderen verfolgten Organisationen gegen die Anschuldigungen. Die Mélidas beschlossen, einen Gruppenprozess mit Unterstützung der erfahrenen Psychodramatikerin Ursula Hauser zu initiieren, um ihre Ängste gemeinsam aufzufangen, die Vergangenheit vom Hier und Jetzt zu trennen und den aktuellen Befürchtungen einen Namen zu geben. Seit 25 Jahren werden die Mélidas von Ursula Hauser und Maja Hess im Rahmen des politischen Psychodramas aus- und weitergebildet. Die feministischen Psychodramatiker*innen der Mélidas leiten heute zahlreiche Gruppen, insbesondere mit Frauen in ländlichen Gemeinden. Diese können ihren Lebensgeschichten und Emotionen Ausdruck geben. «Wir haben gelernt zu sprechen», sagen viele. Wer das erlernte Schweigen, die Scham und die Scheu der Frauen auf dem Land kennt, versteht die Explosionskraft dieser Aussage. Die Feier 25 Jahre Psychodrama wurde trotz der schwierigen Umstände durchgeführt. Alle betonten, wie wichtig es gerade in der aktuellen politischen Situation sei, gegen verinnerlichte patriarchale Muster anzugehen und
die Identität und Widerstandskraft zu stärken. Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sind momentan für Frauen- und feministische Organisationen lebenswichtig.
Im Juni 2020 wurde in El Salvador das Gesetz zur sozialen Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen verabschiedet. Die gesetzliche Verankerung der Inklusion als Recht ist ein bedeutender Schritt – weg von überwiegend karitativ motivierter Hilfe hin zur Förderung der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Der Kampf ist damit aber noch lange nicht vorbei. Heute setzt sich Los Angelitos mit verbündeten Organisationen für die Umsetzung des Inklusionsgesetzes ein. Es geht um die Einführung konkreter Massnahmen für mehr soziale Sicherheit und ökonomische Chancen für Menschen mit Beeinträchtigungen und um ihre Partizipation am gesellschaftlichen Diskurs und an politischen Entscheiden. Los Angelitos steht heute als Elternorganisation auch intern vor der Herausforderung, den inzwischen jungen Erwachsenen mehr Autonomie zuzugestehen. Durch Sensibilisierung und Stärkung des Selbstwertgefühls der jungen Menschen mit Beeinträchtigung sollen alt hergebrachte Muster der Bevormundung und Überbehütung durchbrochen werden. Leider blieb letztes Jahr wegen der Pandemie wenig Raum, um das Beziehungsverhalten kritisch zu reflektieren. Trotzdem konnte die Jugendarbeit in kleinen Gruppen weitergeführt werden. Der Weg zu mehr Autonomie braucht Zeit.