Ende März fand in Havanna das VII. Feministische Psychodramatreffen des Red Sur-Sur (Netzwerk Süd-Süd) statt. Das Treffen bot einen Raum für Austausch, für kollektives Lernen und innere Veränderungen sowie für Feierlichkeiten und internationale Solidarität.

Maja Hess

Die Stimmung ist sehr fröhlich und erwartungsvoll am Eröffnungsakt des VII. Feministischen Psychodramakongresses in La Habana, der Hauptstadt Kubas. Wir begrüssen uns alle herzlich. Einige von uns kennen sich schon von früheren Begegnungen. Endlich können wir uns wieder in die Arme schliessen. Andere sind zum ersten Mal dabei und gespannt darauf, was sie erwartet. Über 60 Frauen aus neun Ländern Zentralamerikas, der Karibik und Südamerikas kommen hier zusammen, um dieses Treffen zu gestalten und neue Erfahrungen nach Hause zu nehmen. Zusammen mit der Psychodramatikerin und Psychoanalytikerin Ursula Hauser begleitet medico seit vielen Jahren feministische Psychodramagruppen in der Region.

Geschichten auf die Bühne bringen

In der Gruppenmethode des Psychodramas werden persönliche Geschichten auf einer imaginären Bühne inszeniert. Dabei übernehmen die Gruppenmitglieder verschiedene Rollen. Jede Person kann Frau, Mann, Kind, Hund oder auch ein Gegenstand, ein Handy, eine Zigarette und vieles mehr sein. Die Bühne wird zum Raum, in dem Gefühle erforscht und mit Worten, Gesten oder Bewegungen ausgedrückt werden. Auf dieser Bühne können Geschichten anders, besser enden als in der Wirklichkeit. Eine Erfahrung, die sehr heilsam wirken kann.
Über die drei Tage setzen wir uns mit vielen persönlichen Geschichten auseinander. Auffallend bleibt: Junge und alte Frauen, Frauen, die Kriege erlebt haben, Frauen aus ländlichen und aus städtischen Armutsgebieten, sowie Frauen aus der gebildeten Mittelschicht teilen im Kern immer wieder dieselbe Geschichte. Sie alle haben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt, Entwertung, Kontrolle, Manipulation bis hin zu Tötungsversuchen durch ihr männliches Umfeld, durch unbekannte Täter und durch Militär und Polizei erlebt. Viele von ihnen haben diese schlimmen Ereignisse in ihrem Innersten verdrängt, Emotionen nicht zugelassen aus Scham und aus Selbstschutz.

Vom Opfer zur Überlebenden

Aus Kuba selbst sind viele junge Frauen dabei, die mit ihren Geschichten das Treffen prägen. Sie erzählen von erlebter sexualisierter Gewalt, Übergriffen in überfüllten Bussen, verbal sexistischen Angriffen. Während diese Erfahrungen in der Wirklichkeit Erstarrung und Konsternation auslösten, verwandeln sich diese Gefühle auf der Bühne in Wut und sogar in Rachefantasien, die mit viel Eifer gespielt werden. Schliesslich müssen wir alle lachen. Es ist ein befreiendes, ein schwesterliches Lachen, denn alle Teilnehmerinnen haben ähnliche Erfahrungen gemacht und können mit den Protagonistinnen mitfühlen.
Diese genderspezifische Gewalt kann nicht nur rein therapeutisch bearbeitet werden, so die Überzeugung vieler Psychodramatikerinnen. Sie muss in einen politischen Kontext gestellt und von einer Analyse patriarchaler Gesellschaftsstrukturen begleitet werden. Nur so kann die Scham des Opfers in Wut und Trauer einer Überlebenden verwandelt werden. Das feministische Psychodrama, wie es hier umgesetzt und gefeiert wird, ist verbunden mit einer klaren Kritik am Patriarchat, nicht in Form eines Dogmas, sondern als Haltung, als Diskussion, als Auseinandersetzung in den Gruppen.

Den «Süden» stärken

Kuba war damals auch die Geburtsstätte des Red Sur Sur. Am Iberoamerikanischen Psychodramakongress 2011 entstand die Idee, ein Süd-Süd Netzwerk zu gründen, um sich der allgegenwärtigen Dominanz des «Nordens» zu entziehen. Das Netzwerk sollte den fachlichen Austausch zwischen Psycholog*innen aus den Ländern des amerikanischen «Südens» stärken und den Zusammenhalt unter den sozial und politisch engagierten Psychodramatiker*innen fördern. Das Manifest des Netzwerkes wurde auf der Plaza de la Revolución in Havanna unterzeichnet und symbolisch den Kämpfen Che Guevaras gewidmet. Es unterstreicht die Suche nach einer Verbindung zwischen einer psychotherapeutischen Gruppenmethode und einer linken, fortschrittlichen, sozialpolitischen Ausrichtung.
Es ist bewegend, mit welchem Stolz die Organisatorinnen den VII. Feministischen Psychodramakongress durch-führen. Sie haben es gegen die patriarchale Tradition des Kontinents geschafft, ein feministisches Treffen mit Fachexpertinnen, engagierten Feministinnen und interessierten jungen Studierenden zu realisieren – und dies in Kuba, das gerade eine schwierige sozioökonomische Situation erlebt. Dieser wunderbare Stolz ist auch bei den jüngsten Teilnehmerinnen zu spüren: Mit einer berührenden Konzentration und Energie führt uns eine Gruppe von Mädchen im Alter von 6-9 Jahren Übungen der asiatischen Kampfkunst Taekwondo vor. Sie stehen für den Aufbruch in eine feministische Zukunft.

Ceasefire now!

Gewidmet ist der Kongress den Menschen in Gaza, insbesondere den palästinensischen Frauen und Kindern, die schutzlos den Bombardierungen und dem Hunger ausgesetzt sind. Nicht wenige der Teilnehmerinnen haben selbst Krieg und bewaffnete Konflikte erlebt, waren in Gefangenschaft, haben Folter erlitten. Umso klarer ist der Ausdruck der Solidarität aus dem Globalen Süden für den sogenannten Nahen Osten. Die grosse Empathie ist beinahe greifbar. «Ceasefire now!» rufen wir gemeinsam. Eine Palästinaflagge begleitet uns im Versammlungsraum.
Ein wichtiges politisches Zeichen ist unser Treffen mit dem palästinensischen Botschafter in Kuba. Das Gespräch über die Psychodramaarbeit und die Gruppe in Gaza geht uns allen sehr nahe, im Wissen, dass einige der Menschen auf den Bildern mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Krieg getötet wurden. So lebt das Netzwerk Süd-Süd von Kuba bis nach Gaza.