Delia Cornejo, Mitgründerin der Frauen*organisation Las Mélidas (MAM), leitet das feministische Psychodramazentrum in San Salvador. Sie und weitere Kolleginnen der Mélidas wurden von der Psychodramaexpertin Ursula Hauser zu Psychodramatikerinnen ausgebildet. «In El Salvador müssen wir diese Gruppentherapie-Methode feministisch und politisch ausrichten,» ist Delia überzeugt, «sonst wird sie der komplexen Realität der Menschen nicht gerecht.»
Maja Hess
Wie kann das Selbstbewusstsein gestärkt werden? Wie kann eine schmerzliche und traumatische Vergangenheit so ins eigene Leben eingebunden werden, dass sie nicht die ganze Lebensenergie raubt? Und wie kann die Bearbeitung der eigenen Geschichte aus einem sozialen und politischen Blickwinkel emanzipatorisch und befreiend wirken?
«Das Psychodrama hat mir das Leben gerettet,» sagt Delia, «es hat mir geholfen, meine emotionalen Blockaden zu lösen. Diese betrafen meine verschwundenen Söhne, die ich während des Krieges bei meinen Verwandten zurückgelassen hatte. Meine immensen Schuldgefühle lähmten mein Denken und Fühlen komplett. Das Psychodrama half mir, wieder Gefühle zuzulassen, die Schuld und Trauer aufzuarbeiten und schliesslich mir selber zu verzeihen. Und dann nahm ich endlich die Suche nach meinen Söhnen auf.»
Vor 25 Jahren hatte Delia die ersten Erfahrungen mit Psychodrama gemacht, nachdem sie als Guerillera aus dem Krieg ins zivile Leben zurückkehrte. Heute ist sie selber Psychodramatikerin und verantwortlich für das feministische Psychodramazentrum, das ein integraler Bestandteil der Frauen*organisation Las Mélidas ist. Im Zweierteam mit einer Kollegin hat sie unzählige Gruppen geleitet. Vor kurzem unterzeichnete sie mit den linken Bürgermeistern von Nejapa, einer Gemeinde nahe der Hauptstadt, und Las Vueltas, im Norden des Landes, Vereinbarungen, um Psychodrama-Gruppen in der Gemeindearbeit zu verankern. Das Angebot richtet sich an politische Leaderinnen, Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung und überlebende des Bürgerkrieges. Dass Lokalpolitiker die psychosoziale Gesundheit und Ermächtigung von Frauen* auf ihre Agenda setzen, ist ein absolutes Novum in Zentralamerika und eine vielversprechende Entwicklung in der kollektiven Erinnerungsarbeit und im Kampf gegen machistische Gesellschaftsstrukturen.
«Viele Frauen* sind traumatisiert und haben grosse Schuldgefühle. Sie bestrafen sich selber, beschuldigen und entwerten sich. Das ist das Resultat der patriarchalen Kultur. Dazu kommen die drastische soziale Ungleichheit und die bedrohliche Kriminalität, beides Folgen des neoliberalen Kapitalismus,» erklärt Delia. In den Psychodramagruppen thematisiert sie die Wechselwirkung von individuellen Traumata und der sozialen und politischen Realität. Denn allzu oft betrachten Frauen* ihre persönliche soziale Lage als schicksalshaft und unveränderlich. Viele Frauen* denken, es sei schon immer so gewesen. Solche Glaubenssätze können im Psychodrama überwunden werden. Nichts muss immer so bleiben, wie es bisher war! «Für mich bedeutet Psychodrama Hoffnung,» betont Delia. «Natürlich kann die Methode Probleme nicht einfach lösen, aber sie gibt mir Werkzeuge in die Hand, um weiterzukämpfen. In diesem Sinne ist das Psychodrama revolutionär!»
Fast alle Mitarbeiterinnen der Mélidas haben selbst Psychodramaerfahrungen gemacht und ihre eigenen Themen und Konflikte bearbeitet. Während des strengen Corona-Lockdowns in El Salvador zeigte sich sehr deutlich, wie stark der Zusammenhalt und die Solidarität unter den Mélidas ist: «Die Kommunikation über soziale Netzwerke hat sofort funktioniert. Auch auf Distanz waren wir füreinander da, haben uns ausgetauscht und konnten so ein Gefühl der Gemeinschaft und Verbundenheit aufrechterhalten,» freut sich Delia. «Die wichtigste Botschaft dabei war: ich denke an dich und möchte wissen, wie es dir geht.» Heute reicht die Solidarität unter Frauen* auch weit über die Institution Las Mélidas hinaus und findet ein breites Echo in der Gesellschaft.
«Psychodramaleiterin zu sein, ist eine Herausforderung», fügt Delia an, «und es erfordert Disziplin. Ich habe gelernt, meine eigenen Gefühle und Traumata von denen der Gruppenteilnehmer*innen zu unterscheiden und sorgfältig zuzuhören. Ich habe gelernt, verschwiegen zu sein und mich völlig auf die Gruppe einzulassen. Ich folge klaren ethischen Regeln und nehme eine professionelle Haltung ein. Das ist anstrengend. Trotzdem verliert das Psychodrama niemals seine Magie. Es bedeutet für mich emotionale Stabilität, Sicherheit und Hoffnung. Und wie gesagt: Psychodrama ist revolutionär!»