Drohungen, Gewalt und Repressalien prägen in El Salvador den Alltag – auch den von Gesundheitsarbeiter*innen. Die medico- Projektpartner*innen stellen sich mutig den Gefahren und kämpfen weiter für eine gerechtere Gesundheitsversorgung und für mehr Schutz für Frauen.

Maja Hess

«Ich kann kein Interview zum Thema geben», antwortet mein guter Freund Leo D.1, leitender Arzt eines staatlichen ländlichen Gesundheitszentrums auf meine Anfrage, über die täglichen Risiken und Gefahren der Basisgesundheitsarbeit zu sprechen. «Präsident Bukele hat uns verstummen lassen. Aber ja: Drohungen und Gewalt halten die Gesundheitsarbeiter*innen im Griff und verunmöglichen teilweise ihre Arbeit.» Die Gefahren sind vielfältig und sich selbst zu schützen, wird eine immer grössere Herausforderung. Die folgenden Begebenheiten sind aus früheren und aktuellen Gesprächen mit Pro-jektpartner*innen zusammengetragen.

Die Angst vor den Maras

An einer staatlichen Gesundheitsmesse vor ein paar Jahren erlebte ich mit, wie eine Pflegefachfrau meiner Kollegin Blanca G.1, Ärztin und enge Mitarbeiterin der damaligen Gesundheitsministerin, einen Umschlag überreichte. Darauf stand mit dicken Buchstaben geschrieben: VERTRAULICH. Der Umschlag war mit Bostitch regelrecht versiegelt, kein freier Platz für eine weitere Klammer. «Das ist ein Informe», meint Blanca, «ein Bericht einer Supervisorin über die Tätigkeit einer Gesundheitspromotorin. Die Pflegefachfrauen, welche die Arbeit der Promotor*innen bewerten, sind oft eingeschüchtert. Vor Kurzem hat eine Supervisorin eine Promotorin kritisiert, die behauptete, von Haus zu Haus gegangen zu sein und die Leute über Malaria und deren Ursachenbekämpfung informiert zu haben, jedoch de facto nichts getan hat. Daraufhin wurde sie von der Promotorin mit den Worten bedroht: ‹Ich lasse dich töten!›»
Die Promotorin gehörte einer Mara an, einer der kriminellen Banden, die bis heute El Salvador fest im Griff haben und auch das Gesundheitsministerium infiltrieren. Die Supervisorin wurde kurz darauf von Mara-Mitgliedern vergewaltigt als ‹Bestrafung› für ihren kritischen Bericht über die nicht erbrachten Leistungen der Promotorin. «Deshalb haben nun alle wahnsinnige Angst», unterstreicht Blanca: «Die meisten schreiben einen offiziellen positiven Bericht und einen kritischen, den sie nur mir anvertrauen.»
«Mein Umgang mit diesen Informationen ist eine Gratwanderung. Einerseits wollen wir die Arbeit unserer Mitarbeiter*innen unterstützen, aber auch kritisch prüfen und dabei gute Gesundheitsarbeit leisten. Andererseits möchte ich die Supervisor*innen durch das Offenlegen eines kritischen Berichtes auf keinen Fall gefährden. Leider wird der grösste Teil der Bandenverbrechen weder untersucht noch aufgeklärt, die Straflosigkeit in El Salvador ist immens. Ein effektiver Schutz von Seiten des Staates ist nicht zu erwarten und die Maras haben wichtige staatliche Institutionen wie die Polizei unterwandert,» sagt Blanca ernüchtert, fügt dann aber bestimmt an: «Aber wir können die Gesundheitsarbeit in den Quartieren nicht einfach einstellen, wir arbeiten weiter, denn es geht um die Gesundheit der Menschen, gerade der sozial schlecht gestellten Familien auf dem Land.»

Gesundheitsarbeit verhandeln

Vor ein paar Jahren versuchten Frauen der medico-Partnerorganisation Mélida Anaya Montes (Las Mélidas) ihre feministische Basisarbeit in einem marginalen Viertel San Salvadors zu etablieren. Als sie mit ihrem Kleinbus ins Quartier fahren wollten, wurden sie von Bandenmitgliedern gestoppt. Unmissverständlich wurde ihnen mitgeteilt, dass sie fremdes Territorium betreten und auf der Stelle umgebracht würden, wenn sie nicht innert zehn Minuten verschwinden würden. Mit dem Grauen im Nacken verliessen die Mélidas den Ort. Will eine Organisation mit wirtschaftlich und sozial schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen in den Vorstädten arbeiten, muss sie eine Strategie im Umgang mit den Maras entwickeln.
Maras bestimmen Vieles, das wissen auch die Basisgesundheitsarbeiter*innen in El Salvador. Einige Promotor*innen bezahlen einen Teil ihres Lohns an die Banden, um in ihrem Viertel arbeiten zu ‹dürfen›. Manchmal reichen aber auch Verhandlungen mit den Bandenchefs eines Quartiers, um dort Gesundheitsinitiativen entwickeln zu können, denn einige der Bandenführer erkennen durchaus, dass diese auch ihren Familien zu Gute kommen.

Gefährliche Einsätze auf dem Land

Auch in ländlichen Gebieten sind die  Gesundheitsarbeiter*innen vermehrt erheblichen Risiken ausgesetzt. Die sexuelle Gewalt und die Bandenpräsenz haben in den letzten Jahren zugenom-men. Eine der von medico unterstützten Hebammen wurde bei einem ihrer täglichen Besuche in den abgelegenen Weilern überfallen, geschlagen und vergewaltigt. Während Monaten war sie nicht mehr arbeitsfähig. Sie erhielt Drohanrufe und war absolut eingeschüchtert. Sie traute sich nicht einmal, ihren Kolleginnen vom Hebammenverband den schrecklichen Überfall zu erzählen – zu heftig die Scham, zu gross die Angst vor einer ‹Vergeltung› durch den Täter, wenn die Tat öffentlich würde. Schliesslich erfuhr sie nach mehr als einem Jahr, dass der damals maskierte Täter, den sie einzig an einer Narbe am Hals erkannt hatte, umge-bracht worden war. Sie fuhr zur Totenwache, um sicher zu sein, dass ihr Peiniger tot ist. Danach konnte sie ihren vertrauten Mitarbeiterinnen in der Hebammenvereinigung erzählen, was ihr widerfahren war. Diese reagierten solidarisch und empathisch. Der schwere Schatten des Traumas verlor langsam an Schwärze.

Straflosigkeit und Repression als Programm

Unter dem aktuellen Präsidenten Bukele ist die Straflosigkeit für Täter von sexualisierter Gewalt – ob Familienmitglieder oder Mitglieder krimineller Banden – noch weiter angestiegen. Auch das ‹Verschwindenlassen› von Männern, Frauen und Jugendlichen durch die Maras bleibt ungestraft und es gibt keinerlei Bemühungen, die vielen Fälle zu untersuchen. Die von medico unterstütze Frauenorganisation Las Mélidas kritisiert diese Unterlassungen der Regierung und setzt sich an vorderster Front für die Aufklärung von Gewaltverbrechen ein. Für diese offene Regierungskritik werden sie und andere prominente Feminist*innen aber von der Regierung Bukele unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung abgestraft. Die Mitbegründerin der Mélidas und ehemalige Parlamentsabgeordnete des FMLN, Lorena Peña, wurde von einer Untersuchungskommission der Regierung Bukele zwölf Stunden festgehalten und während sieben Stunden ohne Unterbruch ins Kreuzverhör genommen. Ihr wurde unter anderem mit fadenscheinigen Argumenten vorgeworfen, dass die NGO Mélida Anaya Montes nur eine Scheinorganisation sei, um durch Korruption erstandenes Geld zu waschen und dass sie in den 1990er Jahren staatliche Subventionen für die Alphabetisierungskampagne der Mélidas missbraucht hätte. Bis zum aktuellen Zeitpunkt wurde die Akkreditierung der Mélidas noch nicht erneuert, was eine baldige Schliessung der Bankkonti und somit auch der Organisation zur Folge haben kann. Ausserdem verhängte Präsident Bukele für alle Spitalangestellten ein Redeverbot gegenüber der Presse, um die schockierenden Zustände im Gesundheitswesen zu vertuschen.

Der Widerstand bleibt stark

Obwohl die Lage in El Salvador für Gesundheitsarbeiter*innen und Hebammen sowie für Mitarbeiterinnen von feministischen Organisationen seit Jahren sehr herausfordernd und risikoreich ist und sich unter Bukele nochmals verschlechtert hat, machen die medico-Projektpartner*innen weiter. Mutig stellen sie sich den Gefahren und versuchen mit gezielten Massnahmen ihre Sicherheit zu verbessern: Sie gehen nicht mehr alleine in die Weiler und haben lokale Netzwerke aufgebaut, um sich vor Ort nach der aktuellen Gefahrenlage zu erkundigen. Die Gesundheit der Menschen auf dem Land und insbesondere mehr Schutz für Frauen sind ihnen ein persönliches Anliegen. Ihr Engagement baut auf der eigenen Geschichte von Flucht, Vertreibung, Krieg, Unterdrückung und dem Kampf für Gerechtigkeit auf. Die Klarheit und der Mut unserer Projektpartner*innen ist auch Vorbild für andere. Widerstand regt sich wieder in den Reihen der linken FMLN und die Feminist*innen kämpfen an vorderster Front für die Rechte und Würde von Frauen und Mädchen.